Es ist eine immer wieder aufs Neue ausbrechende Diskussion, welche die NFL-Fans regelmäßig in zwei Lager teilt. Die einen vertreten vehement die Meinung, dass das Laufspiel der Schlüssel zum Erfolg in der NFL sei. Ohne ein funktionierendes Laufspiel sei es schwierig, Löcher in die Passverteidigung zu reißen. Außerdem profitiere man im Play-Action-Passing-Game enorm von einem starken Run Game. Denn nur wenn die Defense den Running Back fürchten müsse, reagiere sie auf den Fake Handoff bei einem Play-Action-Pass. Die anderen argumentieren, dass das Laufspiel keinen Einfluss auf das Passing Game habe, beziehungsweise dass dieser so gering sei, dass er kaum messbar ist.

Mit diesem zuletzt genannten Argument soll sich dieser Artikel beschäftigen. Wie misst man den Einfluss einer Variablen (Laufspiel) auf eine andere (Passspiel)? Wie mache ich diesen Zusammenhang greifbar? Dazu braucht es zunächst einen kleinen Ausflug in die statistische Datenanalyse.

Korrelation, Signifikanz und Kausalität

Ein ausführlicher Artikel zu den statistischen Größen “Korrelation” und “Signifikanz”, sowie dem Thema Kausalität wird bald folgen, für das vorliegende Thema soll eine knappe Zusammenfassung genügen.

Die Korrelation zwischen zwei Variablen beschreibt deren Zusammenhang. Dabei wird der Einfluss der erklärenden Variable (Laufspiel) auf die abhängige Variable (Passspiel) gemessen. Vereinfacht gesagt wird untersucht, wie die abhängige Variable auf eine Veränderung der erklärenden Variable reagiert. Dieser Zusammenhang wird über den Wert R² gemessen. Dieser kann Werte zwischen 0 und 1 annehmen. Je größer der Abstand von R² zu 0, desto stärker ist der vermutete Zusammenhang. Liegt R² hingegen nahe bei 0, muss man davon ausgehen, dass zwischen den untersuchten Variablen kein messbarer Zusammenhang besteht.

Die Signifikanz wird mit dem Buchstaben p notiert und misst, wie zuverlässig der bestimmte Wert ist oder umgekehrt, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass sich das entwickelte Modell irrt. In der Mathematik bezeichnet man den vermuteten Zusammenhang ab einem Signifikanzniveau kleiner 0.05 als sicher. Je kleiner der Wert p, umso sicherer gilt der Zusammenhang.

Hat man einen deutlich messbaren Zusammenhang beobachtet und diesen mittels p verifiziert, stellt sich zum Schluss noch die Frage nach der Kausalität. Um jedoch eine Aussage über die Kausalität zu treffen, braucht es zwingend das logische Denken eines Menschen. Dieser bewertet die Sinnhaftigkeit des möglichen Zusammenhangs auf Basis seiner Erfahrung und größtenteils losgelöst von mathematischen Modellen. Diese spielen lediglich eine unterstützende Rolle. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es eine Disziplin in der Wissenschaft gibt, die sich seit Jahrzehnten mit dem Nachweis von Kausalität beschäftigt. Dies würde jedoch hier den Rahmen sprengen.

Den Lauf etablieren und die Effizienz des Passspiels messen

Um nun die Zusammenhänge zwischen Lauf- und Passspiel zu beleuchten, müssen wir beides zunächst messbar machen. Gott sei Dank liefert uns ein Football-Spiel unzählige Datenpunkte, die das Spiel für uns greifbar machen. Das Laufspiel lässt sich mit Hilfe der Anzahl an Run Plays, den durchschnittlich erreichten Yards pro Laufspielzug und dem EPA-Wert (Expected Points Added) pro Lauf messen.

Das Passspiel lässt sich ebenfalls durch ähnliche Statistiken messen. In diesem Artikel wird der EPA-Wert pro Passversuch (inkl. Sacks und Scrambles) als Messinstrument dienen. Dieser eignet sich hervorragend als Qualitätsmerkmal eines guten Passspiels, wie vielfach gezeigt wurde, wie zum Beispiel hier von Pinnacle. Um ein möglichst unverfälschtes Ergebnis zu erhalten, wird darauf verzichtet, die Passversuche über einen Durchschnittswert zusammenzufassen. Stattdessen werden alle untersuchten Pässe als unabhängige Punkte in den Graphen eingezeichnet.

Keeping the defense honest!

Ebenfalls eine beliebte Aussage ist, dass man den Ball oft und viel laufen muss, damit die Defense das eigene Laufspiel respektiert und es zu ihrer Priorität macht, den Lauf zu stoppen. Insbesondere im Zusammenhang mit dem Play-Action-Game ist dies eine beliebte Aussage. Nur wenn die Defense jederzeit mit einem Lauf rechnen müsse, reagiere sie auf eine angetäuschte Ballübergabe. Erst dann käme es in der Secondary zu Lücken, die der eigene Quarterback ausnutzen könne. Mathematisch gesprochen würde man also erwarten, dass die Effizienz des (Play-Action-)Passspiels mit steigender Anzahl an Run Calls zunimmt: Je öfter man läuft, umso stärker reagiert die Defense und umso größer werden die Lücken.

Abbildung 1 zeigt die Analyse dieser Vermutung und weist diese entschieden zurück. Die -Werte mit, als auch ohne Play Action, liegen im Zehntausendstelbereich rund um den Wert 0. Es ist kein statistischer Zusammenhang nachweisbar.

EPA pro Pass in Abhängigkeit von der Anzahl an Laufspielzügen
Abbildung 1: Zusammenhang zwischen der Anzahl bisher gespielter Runs und der Effizienz des Passing Games

Laufe viel und vor allem gut!

Die Anzahl der Läufe scheint also keine Rolle zu spielen. Aber wie sieht es mit dem Faktor “erfolgreich Laufen” aus? Je mehr Yards mein Running Back im Schnitt pro Lauf sammelt, umso mehr Respekt müsse die Defense doch vor ihm haben. Umso mehr müsse sie darauf achten, ihm ja keinen Platz zu geben. Umso mehr müsse sie dem Running Back und nicht dem Quarterback ihre Aufmerksamkeit schenken – oder?!

Auch hier fällt die Analyse ernüchternd für den “Establish the Run”-Truther aus. Wie schon bei der Anzahl der Laufversuche lässt sich auch hier kein nennenswerter Zusammenhang zwischen der erreichten Yards pro Carry und der Effizienz des Passspiels nachweisen. Wie Abbildung 2 zeigt, erkennt das Modell einen signifikanten Zusammenhang zwischen den Yards pro Carry und non-Play-Action-Pässen (p = 0.0126). Der gefundene Zusammenhang ist jedoch fast gleich null (R² = 0.0003).

EPA pro Pass in Abhängigkeit von Yards pro Lauf
Abbildung 2: Zusammenhang zwischen Yards pro Carry auf den bisher versuchten Runs und der Effizienz des Passing Games

Führt Effizienz zu Effizienz?

Zu guter Letzt bleibt noch die Analyse der Effizienz des Laufspiels. Der EPA-Wert misst genau diese und setzt die erreichten Yards in den Kontext von Faktoren wie Down, Distance und Game Clock. Wenn ein Team in den entscheidenden Situationen ruhigen Gewissens auf das Run Game zurückgreifen kann, immer wieder die harten 2 Yards auf 3rd Down erläuft, muss die Defense doch darauf reagieren. In der Folge würden sich entsprechende Möglichkeiten im Passspiel öffnen.

Auch diese Vermutung lässt sich aber nicht bestätigen, im Gegenteil. Erneut finden wir -Werte, die sich im Zehntausendstelbereich um den Wert 0 bewegen. Dies verrät uns, dass es keinen messbaren Zusammenhang zwischen EPA pro Lauf und EPA pro Pass gibt. Abbildung 3 veranschaulicht dies sehr deutlich.

EPA pro Pass in Abhängigkeit von EPA pro Lauf
Abbildung 3: Zusammenhang zwischen den EPA pro Lauf bei bisher gespielten Runs und der Effizienz des Passing Games

Warum überhaupt noch den Ball laufen?

Zweifelsfrei eine überspitzte Frage. Natürlich bleibt das Run Game ein wesentlicher Bestandteil von American Football. In Situationen mit nur wenigen benötigten Yards bis zum First Down ist es dem Passing Game sogar überlegen. Die generelle Wichtigkeit des Laufspiels muss dennoch mehr denn je hinterfragt werden.

Abbildung 4: Korrelationskoeffizienten & Signifikanzniveau verschiedener Running Game Statistiken

Die drei untersuchten Running-Game-Metriken und deren Zusammenhang zum Passspiel fällen ein vernichtendes Urteil. Die Korrelationskoeffizienten bewegen sich allesamt im Zehntausendstelbereich und ein Zusammenhang kann damit ausgeschlossen werden. Die Frage nach der Kausalität stellt sich somit nicht, denn wo kein mathematischer Zusammenhang besteht, kann es keine Kausalität geben.

“Establish the Run” scheint nicht mehr als eine Mär zu sein, egal, aus welcher Perspektive man es betrachtet. Dennoch wird es vermutlich noch lange ein Dogma des Football-Einmaleins bleiben. In die Köpfen vieler wurde das Etablieren des Laufspiels als Football-Weisheit eingepflanzt und es fällt schwer, sich aufgrund von teils schwer greifbaren mathematischen Analysen vom Gegenteil überzeugen zu lassen.

Zweifelsohne bleiben noch Fragen ungeklärt. Spielt der Running Back, der im Backfield steht, eine Rolle? Hat die Defense mehr Respekt vor Ezekiel Elliott, Derrick Henry und Saquon Barkley als vor Ronald Jones, James White und Matt Breida? Eine endgültige Antwort darauf liefern wohl nur die Tracking-Daten, die nicht öffentlich zugänglich sind. Alle Indizien deuten aber darauf hin, dass das Laufspiel eben nicht der Schlüssel zu einer Juggernaut-Offense ist, sondern tatsächlich sogar überhaupt keinen Einfluss auf den wirklichen Treiber hinter einer hochkarätigen Offensive hat. Denn dieser ist und bleibt das Passing Game.

An dieser Stelle sei noch erwähnt, dass diesem Artikel nur Daten der 2019er Saison zugrunde liegen. Eine ausführlichere Analyse mit einem größeren Betrachtungszeitraum wurde von Ben Baldwin durchgeführt und bei den Kollegen von Football Outsiders veröffentlicht.

4 KOMMENTARE

  1. Danke für den Artikel. Der Text bringt die Analyseergebnisse schön auf den Punkt😊
    Ich würde mir Folgeartikel wünschen, in denen die Effizienz von Plays in Abhängigkeit von Down, Distanz und Personal (auch in der Defence) beleuchtet werden.
    Und kann es sein, dass einzelne Teams doch im Passspiel vom guten Laufspiel profitieren, die anderen die Statistik aber runter ziehen? Wurde der Run nicht doch erfolgreich etabliert, wenn z.B. situationsabhängig ein zusätzlicher Laufverteidiger in die Box gezogen wird und man dann effektiver passen kann?

    • Leider macht bei einigen deiner Wünschen die Verfügbarkeit der entsprechenden Daten einen Strich durch die Rechnung. Offensives und defensives Personal sind hier die Knackpunkte, diese gibt es nur über Next Gen Stats. Die Anzahl der Verteidiger in der Box ist aber zumindest für die 2019er Saison verfügbar und dort wird bald ein Artikel von Fabian kommen. Eine Analyse, wann der Run und wann der Pass im Mittel mehr Erfolg verspricht, ist aber eine interessante Idee!

  2. Die unzähligen erhobenen Daten sind natürlich eine der größten Faszinationen im Football. Zugleich lassen sich durch solche Artikel, wie vom Autor ja schon angesprochen, festsitzende Überzeugungen schwerlich aufbrechen. Wahrscheinlich halt auch, weil das Laufspiel am Ende dann hier und dort in der einzelnen Spielen oder nur Phasen eines Spiels dabei geholfen hat, die eigene Mannschaft auf die Siegerstraße zu stellen.

    Gerne mehr von solchen Texten 🙂

    • Solche Themen wird es in Zukunft auf jeden Fall häufiger geben. Ich denke ein Blog ist deutlich besser geeignet um solche Themen zu diskutieren, als ein schnelllebiges Medium wie Twitter oder Facebook.
      Und wie du richtig festhältst, ist das Laufspiel eben nicht komplett nutzlos, wie es gerne überspitzt formuliert wird. Gerade in Situationen mit nur noch wenigen Yards zu gehen, kann es im Gegenteil sogar sehr wertvoll sein.

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