In der AFC East stehen die Zeichen auf Umbruch. Nach langen Jahren der Einseitigkeit, in der zehn der letzten zehn Divisionstitel nach Boston gingen, hat 50% des Brady-Belichick-Gespanns die Division verlassen. Die drei Konkurrenten haben allesamt junge hoch gedraftete Quarterbacks. Könnte sich das Blatt also wenden?
1) Tua wurde medizinisch gecleart. Sollte er sich im Trainingslager nicht als völlig untauglich erweisen, muss er Day-1 Starter sein!
James Wiebe: Ja und nein. Der einzige Weg sich an NFL-Football zu gewöhnen ist NFL-Football zu spielen, das sehe ich ein. Aber gerade jemand wie Tua, dessen Verletzungsprobleme gut dokumentiert sind, könnte etwas Zeit hinter einem Veteran gut tun. Die Offensive Line hat offensichtliche Schwachstellen, das Receiving-Corps steht nach den Opt-Outs von Albert Wilson auf noch wackligeren Beinen. Ich habe Bauchschmerzen mit der Thematik. Stimmt mich um!
Jessica Fehlhaber: Ich sehe es ähnlich. Aktuell kommen viele Fragen auf, deren Antworten schwer zu erahnen sind. Vor allem die Offensive Line steckt voller Fragezeichen, 4 Neuzugänge als Starter, darunter 2 Rookies. Dazu eine Situation, in der es ordentlich erschwert ist, schnell eine On-Field-Chemie zu entwickeln. Sofern der Coaching Staff zum Saisonstart nicht 100% von der Line überzeugt ist, würde ich Fitzpatrick noch ein paar Wochen geben bis die Line nachgewiesen hat, deutlich vertrauenswürdiger als der Trümmerhaufen von 2019 zu sein.
Martin Senfter: Wenn er nicht völlig untauglich ist, dann sollten die Dolphins gleich mit Tua gehen. Talent auf der Bank versauern zu lassen, hat bekanntlich noch nie etwas gebracht. Die Mär vom “Lernen hinter dem Franchise-QB” ist zu Ende erzählt, außerdem sollte Tua von Fitzmagic ohnehin nicht sehr viele On-Field-Skills lernen können – er ist jetzt schon talentierter.
Fabian Sommer: Grundsätzlich bin ich immer dafür, dass ein QB so schnell wie möglich startet, sofern das Team nicht mit der Alternative ein klarer Playoff-Kandidat ist. Die Offensive Line ist für mich kein Argument, ihn nicht starten zu lassen. Denn die Unit kann auch in 2021 noch sehr schlecht sein. #StartWithTua
2) Das Downgrade Tom Brady zu Cam Newton ist das viel kleinere sportliche Problem der Patriots als die zu erwartende Defensiv-Regression.
Jessica Fehlhaber: Kein Team tauscht gerne einen langjährigen Quarterback aus, doch mehrere zentrale Defense-Spieler auszutauschen kann wesentlich schmerzhafter enden. Zumal die Fallhöhe in diesem Fall besonders groß ist, da man die Patriots-Defense der vergangenen Saison als ligaweite Nummer Eins bezeichnen kann. Mit den Opt-Outs von Dont’a Hightower und Patrick Chung fallen kurzfristig zwei der wichtigsten Puzzleteile in der Passverteidigung weg, zuvor waren schon mehrere Linebacker der Startformation zu anderen Teams gegangen. Auch wenn es unwahrscheinlich scheint, dass Belichick nochmal einen echten Rebuild anstrebt: In der Defense ist er gerade zu einem kleinen gezwungen.
Fabian Sommer: Ich kann mir kaum vorstellen dass wir in der Effizienz der Offense zu 2019 mit Cam ein Downgrade sehen werden. Im Gegenteil, sein Skillset hätte den Pats letzte Saison sehr gut getan – wenn kein Receiver offen war, konnte Brady nicht mehr viel ausrichten. Ich erwarte tatsächlich eine deutlich bessere Offense im Gegensatz zur zweiten Saisonhälfte. Defensiv werden die Pats nicht mehr so viele Turnovers kreieren und noch nie hat ein Team in einer Offseason in der Front Seven so viele Starter verloren.
Martin Senfter: Stimme der These zu, auch wenn hinter Newton ein gewisses Fragezeichen steht. Wie fit ist er wirklich, wie schnell kann er nach den schweren Verletzungen seinen Rhythmus in einem neuen Umfeld finden? Dennoch kann man nicht erwarten, dass die Defensive der Pats in der kommenden Saison ähnlich dominant auftritt, wie sie es im vergangenen Jahr getan hat. Zumal ja auch einige Spieler die Saison ausfallen lassen werden. Bill Belichick ist natürlich mit jedem Kader alles zuzutrauen, er wird vermutlich aber noch kreativer werden müssen.
James Wiebe: Eine so historische defensive Performance wie letztes Jahr ist kaum zu wiederholen. Aber die Regression muss schon krass ausfallen, damit die Defense zu einem “Problem” wird. Dass sie aus den Top-10 fallen, kann ich mir kaum vorstellen. Insofern sehe ich in beiden Bereichen keine großen Probleme, allenfalls Herausforderungen.
3) Es ist der 15. Dezember. Adam Gase ist kein Jets-Coach mehr.
Fabian Sommer: Es ist der 15. Dezember, Adam Gase ist bereits seit der Bye-Week im November kein Jets-Coach mehr. Das Schedule der ersten neun Wochen liest sich brutal: Bills 2x, Pats, Colts, Niners, Broncos, Cards, Chiefs, Chargers. Ein Record von etwa 2-7 dürfte dann niemanden verwundern. Meine Prognose: Gase überlebt die Bye-Week nicht.
James Wiebe: 2019? Wäre gerechtfertigt gewesen.
Jessica Fehlhaber: Nein. Ich denke ich sehe Gase aber am 4. Januar 2021 nicht mehr als Jets Coach. Ich bezweifle, dass man in New York realistisch an einen positiven Record denkt. Da geht es für mich eher darum ob Darnold noch ein Kandidat sein kann und wie sich die Rookies und die Spieler im 2. Jahr entwickeln. Durchaus anders könnte es aber sein, wenn im Zuge einer Absage der College-Saison vielleicht ein Wunschkandidat bereits vor Saisonende verfügbar wird – dann wird’s noch enger für Gase.
Martin Senfter: Es ist der neunte August und Adam Gase ist leider immer noch Jets-Coach. Meiner Meinung nach kann man ihn nicht schnell genug feuern. Egal wo er als Head Coach wursten darf, hinterlässt er verbrannte Erde. Die Spieler entwickeln sich nicht weiter, die Franchise ist im ständigen Umbruch und Schlüsselspieler – wie zuletzt Jamal Adams – suchen sehr schnell das Weite. Sam Darnold kann einem wirklich Leid tun, das Missmanagement der Jets in den vergangenen Jahren lässt eine Entwicklung schon schwer zu. Dass er selbst noch zeigen muss, dass er ein echter NFL-QB ist – geschenkt. 15. Dezember 2020 wäre ein gutes Datum um Gase loszuwerden, ich bezweifle aber, dass General Manager Joe Douglas diesen (notwendigen) Schritt wagt.
4) Die Buffalo Bills sind eines der am besten zusammengestellten Teams in der NFL – wenn man die Quarterback-Position ausklammert.
Martin Senfter: Ja, seh ich auf jeden Fall so. Der endgültige Erfolg hängt von der Entwicklung von Josh Allen ab. Wenn er irgendwie seine Genauigkeit in den Griff bekommt, macht er schon einen ersten wichtigen und notwendigen Schritt. Rein über sein Laufspiel wird er seine Mannschaft nicht zum Titel führen können.
Jessica Fehlbhaber: Neben einer Top 5 Defense haben die Bills diverse gute Spieler auf den offensiven Positionen…eben außer Allen. Mit einer anderen Personalie auf Quarterback hätten die Bills Contender-Format. Gelingt es Allen weiterzuentwickeln, sind Außenseiterchancen möglich. Die Playoffs können schließlich so manches auf den Kopf stellen, Nick Foles lässt grüßen!
Fabian Sommer und James Wiebe verweigerten die Aussage.
5) Sam Darnold, Josh Allen oder Cam Newton?
Martin Senfter: Da bleib ich weiterhin bei Newton. Auch wenn er ein Jahr nicht gespielt hat und auch davor seine Probleme hatte, sprechen wir hier von einem ehemaligen MVP. Darnold überzeugt bisher kaum, Allen zeigt mehr mit Laufspiel denn QB-Spiel auf. Newton wird noch einmal beweisen, dass er zu den besseren Spielmachern der Liga gehört.
James Wiebe: Wenn ich mich schon zwischen potentiellen Fallstricken entscheiden muss, nehme ich lieber “könnte nicht fit sein” als “könnte schlecht sein”. Newton also, zumal auch Allen und Darnold nicht unbedingt mit grenzenloser Gesundheit glänzen konnten.
Fabian Sommer: Hier gehe ich ganz klar mit Cam Newton. Er hat in seiner bisherigen Karriere schon viel mehr gezeigt als die beiden anderen und hat definitiv das höhere Ceiling.
Jessica Fehlhaber: Kurzfristig geplant bietet Cam Newton das höchste Ceiling, allerdings auch ein ordentliches Risiko. Mit längerer Verletzungsakte in einem neuen Team, in den größtmöglichen Fußstapfen stehend. Zumindest das dafür nötige Selbstbewusstsein kann man Newton nicht absprechen. Obwohl ich, rein subjektiv, ein gutes Passspiel vorziehe, wäre die langfristige Wahl Allen. In der Hoffnung, dass da noch das Potential ist, ihn zu einem wenigstens durchschnittlichen Passer zu machen. Darnold sehe ich als verbrannt, gerade in diesem Jahr. Er steht vor seinem “make it or break it” Jahr, kämpft darum ein Starting-QB der NFL zu sein und hat fast keine Unterstützung durch Draft und Trades erhalten. Da ist wenig zu retten.
6) Die AFC East hat mit Bills, Dolphins und Patriots drei der bestgeführten Front-Offices in der NFL, und trotzdem wird es 2020 kein Team mit einer Bilanz über 9-7 geben.
Jessica Fehlhaber: Ja. Bei den Dolphins ist eine solche Bilanz im Rebuild nicht zu erwarten, bei den Patriots durch massive Veränderungen unrealistisch. Am ehesten ist es den Bills zuzutrauen, doch aktuell ist Josh Allen zu wacklig um die Bills als großen 10-Siege Kandidaten zu sehen.
Fabian Sommer: Es ist für mich schwer vorstellbar, dass ein Patriots-Team mit Bill Belichick, Josh McDaniels und einem guten Quarterback unter 10 Siegen bleibt. Natürlich unter der Prämisse, dass Cam fit ist – wovon wir Stand jetzt ausgehen. Zumindest die Schulter sollte okay sein.
James Wiebe: Haben die Dolphins eines der bestgeführtesten Front Offices der NFL? Bevor wir über über Records reden, müssen wir das erstmal diskutieren. Nicht falsch verstehen, ich halte den eingeschlagenen Weg für gut und richtig, aber dennoch erstmal Ruhe mit den wilden Pferden!
Bei Patriots und Bills könnte ich mir mehr als neun Siege vorstellen, aber wohl nicht viel mehr. Enthaltung meinerseits.
Martin Senfter: Denke auch, die Patriots werden das schon irgendwie schaffen. Und Buffalo muss eigentlich auch, wenn sie den ersten Divisionssieg seit 1995 einfahren wollen. Die Tür um den Titel in der Division ist vermeintlich offen, mal sehen wer tatsächlich durchgeht.
Sehr schönes Format, dass die einzelnen Beiträge sehr schön ergänzt 🙂 Da bin ich mal auf die anderen Teams gespannt.