Fragezeichen hinter der College-Football-Herbstsaison
Wir hatten schon letzte Woche darüber geschrieben: Eine Abhaltung der Herbstsaison 2020 im College Football sei eher unwahrscheinlich, auch wenn die großen Conferences fleißig an der Veröffentlichung ihrer reduzierten Spielpläne arbeiteten. Doch diese Bekanntmachungen fühlten sich damals schon seltsam hohl an.
Was auch klar war: Eine verkürzte Saison ohne Out-Of-Conference-Spiele bringt die kleineren Conferences und ihre Mitglieder in finanzielle Notstandslage, da ihnen ohne diese gerade für sie finanziell lukrativen Spiele das nötige Kleingeld zur Finanzierung ihres Spielbetriebs fehlt. Klarer: Für die kleineren Ligen wäre eine Saison ohne Spiele gegen die „Großen“ finanziell noch schwerer zu tragen als gar keine Saison.
Folge: Mit der Mid-American Conference (MAC) fiel am Wochenende der erste Dominostein in der FBS (Football Bowl Subdivision), der höchsten Ebene des College Football. Sie sagte den Spielbetrieb für diesen Herbst ab. Spiele soll es frühestens im Frühjahr 2021 geben.
Die Power-Conferences
Doch auch die großen Cash-Cows im College Football, die „Power-5 Conferences“ (Big Ten, SEC, ACC, Big 12, Pac-12) gaben in den letzten Tagen und Wochen nicht immer ein überzeugtes und überzeugendes Bild in der Corona-Krise ab. Vor allem war es kein einheitliches Bild.
Es gibt im College Football in Form der NCAA zwar einen Dachverband, aber es ist ein Dachverband ohne direkte Handhabe über den Spielbetrieb. Die Power-5 arbeiten zwar dennoch zusammen: Es ist aber mehr eine lose Vereinigung, die vor allem dem rollenden Rubel namens „College Football Playoff“ geschuldet ist.
Während den großen Krisen der Menschheit sind aber schon immer unter der Oberfläche schwelende Konflikte zutage getreten – so auch jetzt im College Football in der Corona-Krise. Plötzlich zieht sich jede Conference in ihr Schneckenhaus zurück und arbeitet an ihren eigenen Plänen. Es ist für viele längst ein Überlebenskampf geworden.
Die Abtrünnigen
Gerade die renommierte Big Ten Conference mit ihren Aushängeschildern, der University of Michigan, der Ohio State University oder der Penn State University sowie ihrem neuen Commissioner Kevin Warren gilt schon seit längerem als äußerst skeptisch einer Herbstsaison gegenüber eingestellt. Die Big Ten ist nicht ganz allein, denn die große Westküsten-Conference Pac-12 durchlebt mit ihren stark von der Seuche betroffenen Staaten Kalifornien und Arizona vor allem unlösbare logistische Probleme. Ein geregelter Trainingsbetrieb für die Footballer ist dort noch immer nicht möglich.
Im gestrigen Treffen der Commissioner der Power-5 Conferences sollen Big Ten und Pac-12 bereits sehr deutlich über eine Absage ihrer Footballsaison im Herbst gesprochen haben. Zu groß ist die Angst vor allem vor zwei Dingen:
- Verbreitung des Coronavirus in der Community durch den Spielbetrieb und die Reisen von Campus zu Campus.
- Verzögerungen der Bekanntgabe von Testergebnissen, die kaum „day to day“ vorgelegt werden können und damit das Management des Tagesgeschäfts von zahlreichen Mannschaften torpediert.
Dem Vernehmen nach könnte es noch innerhalb dieser Woche eine komplette Absage oder Verschiebung aufs Frühjahr in Big Ten und Pac-12 geben. Und ist das erst einmal passiert, wandern die Blicke in den Süden und in die Rednecks: Was werden ACC, Big 12 und vor allem SEC dann machen?
Es kursieren Gerüchte, dass niemand der Erste, aber auch niemand der Letzte mit der Saison-Absage sein möchte. Die ACC gilt als eine Art „kleine Schwester“ der SEC und soll diejenige Conference sein, deren Mitglieder den bislang kohärentesten Plan für eine Verschiebung auf Frühjahr 2021 auf den Tisch gelegt haben. Doch am Ende wird die ACC fast sicher das nachahmen, was die SEC vormacht.
Werden also alle Dominosteine fallen?
Und dann sind da noch die Spieler…
…und die geben in diesem unübersichtlichen Status quo das momentan beste Bild ab und drohen damit, College Football in ihren Grundfesten zu erschüttern. Diese Spieler waren bislang in zwei große Lager gespalten:
- Die Bewegung #WeAreUnited aus der Pac-12. Es war eine mehrere Dutzend Mitglieder umfassende Gruppe an Spielern, die vor allem Minimierung des Gesundheitsrisikos, mehr Protestrechte in der Black-Lives-Matter Bewegung und zumindest etwas finanzielle Unterstützung forderte – und andernfalls mit Streik drohte.
- Die Bewegung #WeWanttoPlay, angeführt von teils sehr prominenten Athleten, die lautstark für eine Durchführung der Saison plädierten und dabei u.a. mit geringerem Gesundheitsrisiko bei regulärem Spielbetrieb argumentierten. Grund: Zahlreiche Spieler seien bei Saison-Absage und Rückkehr in ihre eigenen Heimatorte dem unverantwortlichen Treiben der dortigen Communities ausgeliefert.
Und jetzt kommt die Krux: Die beiden Lager sind seit der letzten Nacht nicht mehr gespalten! Denn unter der Führung von Clemson-QB Trevor Lawrence treten sie nun geeint auf und plädieren für Spielbetrieb unter folgenden Voraussetzungen:
- Regelmäßige Covid-Tests in allen Conferences
- Streikrecht für die Spieler
- Verlängerung des Sportstipendiums auch bei Opt-Out
Der Schlüssel-Satz steht ganz am Ende: Die Bewegung hat das Ziel, als College-Football-Players-Association zu fungieren, also als eine Art Spielergewerkschaft und Interessensvertretung. Der künftige #1 Overall Draftpick Lawrence als Gewerkschaftsvertreter – eine erstaunliche Entwicklung!
Was heißt das alles?
Kommen die Spieler damit durch, haben sie das geschafft was die großen Conferences bislang nicht geschafft haben: Den College Football zu einen. Denn neben den schwierigen äußeren Bedingungen mit einer politischen Führung, die die Gefahren des Coronavirus bis heute nicht ernst nimmt, ja sogar kleinredet, gilt die Zersplitterung der Verbandsinteressen als der wichtigste Grund, weswegen der College Football heute überhaupt vor diesem Trümmerhaufen steht: Einer Saison, die wahrscheinlich nicht stattfinden kann, was die Existent zahlreicher Sportprogramme infrage stellt und damit mittelfristig auch das Fundament dieses ohnehin umstrittenen Konstrukts „College Football“ erschüttert.
Jetzt bleibt aber noch abzuwarten, wie ernst es allen Beteiligten ist – denn wie überall gilt: Erstmal wird laut geschrien und gedroht um überhaupt gehört zu werden. Wie nachhaltig diese rapide Entwicklung eines einzigen Sonntags im August ist, wird sich erst nach den ersten Treffen zeigen, wenn miteinander statt übereinander gesprochen wird.
Dann wird sich zeigen ob die Vereinigung der Spieler wirkungslos bleibt, oder ob sie immerhin die Kraft hat um eine möglichst sichere kurze Footballsaison herauszupressen – oder ob sie wirklich die Sprengkraft entwickeln kann, den College Football in seiner heutigen Form auf den Mond zu schießen und nachhaltig zu revolutionieren.
Ich blicke da noch nicht so ganz durch..
Zum einen die Aussage, dass ein Abhalten der Saison mit weniger Risiko verbunden ist als eine Absage. Das kann ich mir kaum vorstellen bei der Kadergröße, den Reisen durch das halbe Land und dann den Spielen gegen die anderen Mannschaften.
Demgegenüber stünden dann natürlich die regelmäßigen Corona-Tests, die sie in ihren communities nicht bekommen würden.
Scheint mir aber trotzdem nicht unbedingt sicherer zu sein, denn zuhause kann doch jeder das Risiko zu einem viel größeren Teil selbst steuern (social distancing, Maske tragen, Hygiene)…
Zum anderen der Punkt, den du im Text auch schon angerissen hast: eine Saison mit Spielen nur innerhalb der Conferences würde doch mehr (hauptsächlich kleineren) Programmen schaden als eine komplette Absage… Oder hab ich da was falsch verstanden?
Generell aber eine gute Sache, dass sich die Spieler zusammenschließen und sich ihrer Macht bewusst werden. War lange überfällig…
PS: Auch von mir ein großes Kompliment für bisherigen content. Die Seite gehört schon jetzt zu meiner taglichen Pflichtlektüre
PPS: Sorry für den Roman 😀
Freut uns!
Das Argument geht in etwa so (und wird auch von Coaches wie Saban gepredigt): Auf dem Campus finden zahlreiche Spieler bessere hygienische Bedingungen vor als zuhause. Die Facilities sind in vielen FBS-Programmen top, die einzigen Gefahren seien College-Partys, aber die sind “leicht” zu umgehen.
Zu den Conference-Schedules: Ja, kleine Programme & Conferences finanzieren sich zum Teil aus den Pay-Outs, die sie für die Schlachtfeste gegen die Ohio States dieser Welt bekommen. In einer Saison ohne diese Spiele und ohne die Zuschauereinnahmen können sie eigentlich zusammenpacken.
Die großen Conferences können trotzdem nicht mit einem vollen Schedule planen, weil a) Conference-Schedule ist regionaler, also auch weniger reiseintensiv und b) es braucht Puffer-Zeiten für etwaige Verschiebungen und Spielpausen.
Deren Rechnung ist einfach: Eine verkürzte Saison ist besser als keine, und eine verkürzte Saison bekommen wir besser durch als eine lange – und dann spielen wir lieber gegen attraktive Gegner, die wir nicht auszahlen müssen.
War ja klar, dass viele Coaches dieses Lied nur allzu gerne trällern. Haben ja auch ein paar Millionen Gründe dafür..
Der Artikel von ProFootballTalk, den du auf deinem Blog verlinkt hast, bringt mein Gefühl dazu ganz gut auf den Punkt.
Ich stehe einer College Football Saison immer noch sehr kritisch gegenüber, Conference-Schedules hin oder her, falls sich die Lage da drüben nich schnell verbessert. Und das ist mit dem orangenen Riesenbaby und seinen Kompagnons als Entscheidungsträger ja leider nicht zu erwarten
Die Würfel in Big Ten und Pac-12 sollen ja heute oder morgen fallen.
Es ist immer wieder erstaunlich bis unfassbar was für ein unglaublich guter Content der Football-Community im deutschsprachigen Raum geboten wird. DANKE allen Beteiligten!!!!!
Danke zurück fürs Lob 😀
Freut uns, dass der Content auf positive Resonanz stößt!