Wir hatten versprochen loszulegen, wenn der College Football loslegt. Und wir halten unser Versprechen.
Am Samstag, 5. September erleben wir mit SMU – Texas State (22h MESZ) oder Memphis – Arkansas State (02h MESZ) die ersten Aufeinandertreffen von zwei Mannschaften aus der FBS, ehe am Montag mit BYU gegen Navy die ersten richtig namhaften Teams gegeneinander spielen.
Am Donnerstag, 10. September legt fast gleichzeitig mit dem NFL-Kickoff mit den Miami Hurricanes (gegen UAB) das erste Team aus einer Power-Conference los. Und am nächsten Samstag, 12. September gibt es schon die ersten Conference-Duelle aus der ACC:
- #18 UNC – Syracuse (18:00 Uhr)
- #10 Notre Dame – Duke (20:30 Uhr)
- Florida State – Georgia Tech (21:30 Uhr)
- Wake Forest – #1 Clemson (1:30 Uhr)
Richtig gelesen: Notre Dame tritt in diesem Herbst ausnahmsweise als vollwertiges ACC-Mitglied an. Doch dazu und zu den anderen Mannschaften kommen wir in ein paar Tagen. Fürs erste haben sich Jan Weckwerth, Thomas Psaier und James Wiebe an den runden Tisch gesetzt um ein paar brennende Themen dieser außergewöhnlichsten College-Football-Saison seit dem Zweiten Weltkrieg zu besprechen.
1) Hand aufs Herz: Wie viele Minuten des Auftaktspiels Austin Peay – Cental Arkansas hast du dir letzten Samstag gegeben?
James Wiebe: Live? Nicht eine einzige.
Wenn ich ehrlich bin hab ich auch abends erst erfahren, dass tatsächlich Football gespielt wird. Die Highlights am nächsten Tag auf YouTube wurden natürlich trotzdem geschaut. Man hat dem Spiel die mangelhafte Vorbereitung schon angesehen, aber es ist Football. Football ist immer besser als nicht-Football.
Thomas Psaier: Wohl wahr. Die Neugier hat nur für Highlight-Tape gereicht. College-Football-Saisonstart ohne 12 Stunden Live-Football am Stück ist einfach nicht das gleiche.
Jan Weckwerth: Ich hatte es eigentlich nicht geplant, konnte dann aber doch nicht widerstehen. Also wurde pünktlich um 03:00 Uhr nachts der Stream eingeschaltet. Und das hat sich ausgezahlt, da ich gleich beim ersten Play from Scrimmage mit einem langen Touchdown-Lauf per Speed-Option von Austin Peay beglückt wurde. Über die Halbzeit hinaus habe ich es dann aber leider nicht geschafft.
2) Drei der fünf Power-Conferences wollen im Herbst spielen. Blick in deine Gefühlswelt: Wie geht es dir damit?
James Wiebe: Um mal bei der Wahrheit zu bleiben, ich freue mich egoistischerweise darauf. Ich mag College Football und selbst ohne Fans werden wir gute, spannende Spiele zu sehen bekommen. Es fühlt sich aber auch etwas surreal an, während einer Pandemie junge, unbezahlte Spieler solchen Risiken auszusetzen. Ich hoffe einfach, dass die Schutzmaßnahmen der Universitäten gewissenhaft und ausreichend sind – und nicht Colorado-State-like.
Ist das etwas inkonsequent von mir? Vermutlich.
Jan Weckwerth: Es fühlt sich unwirklich und unvollkommen an. Ich hätte mir ein koordiniertes Vorgehen aller FBS-Conferences gewünscht, sowohl bezüglich der Corona-Maßnahmen als auch bezüglich der generellen Saisonplanung. Da sich die Fälle bei einigen Teams wieder häufen, blicke ich auf die Entscheidung mit Sorgenfalten. Ich hoffe vor allem sehr, dass es zu keiner Corona-bedingten Katastrophe kommt.
Thomas Psaier: „Unvollkommen“ ist ein Ausdruck, dem ich beipflichten kann. Ich hatte anfangs ein mulmiges Gefühl, doch mittlerweile bin ich optimistischer, dass die Teams eine spielbare Saison durchführen können.
Lass mich mal das Positive an der ganzen Sache sehen: Die Corona-Zeit hat bei allem Organisations-Chaos mit dem zerstückelten Spielplan und der nicht ganz für voll zu nehmenden Herbstsaison immerhin ein paar sichtbare Anhaltspunkte für Veränderungen am System geliefert.
Die Allmacht der Coaches, die Hilflosigkeit der unbezahlten Spieler, die vielen (Conference)-Köche auf Ego-Trip: All diese Probleme sind nun auf dem Tisch. Wir sprechen zwar erstmal noch von Lösungsansätzen anstatt von echten Lösungen um dieses zutiefst unfaire Konstrukt College Football zu verändern. Doch die ersten Schritte sind gemacht.
3) Die Big Ten überlegt nun, eine Saison “ab Thanksgiving” zu spielen. Wäre es unter diesen Voraussetzungen nicht sinnvoller, wenn auch SEC, ACC und Big 12 warteten?
Jan Weckwerth: Grundsätzlich ja, aber ich kann auch verstehen, dass ACC, SEC und Big 12 ihre Planungen nicht spontan umwerfen wollen. Die Big Ten hatte ja einen Saisonstart im Frühjahr anvisiert und beginnt nun, aufgrund des Drucks der Spieler und insbesondere der Eltern langsam einzuknicken. Unabhängig davon bliebe ja noch die Frage nach der Pac-12. Ob drei oder vier Conferences macht für mich nicht den großen Unterschied. Mittlerweile lassen sich allerdings erste Stimmen aus der Pac-12 vernehmen, die sich an der Big Ten orientieren wollen. Wie gesagt, ein koordiniertes Vorgehen hätte insgesamt viele Debatten und Querelen erspart.
James Wiebe: Die anderen Conferences sollten warten, weil die Big Ten spielen könnte?
Das klingt nach keinem guten Plan. Competitive Balance wird’s halt eh nicht geben, also sollen die drei ruhig spielen, wenn sie es denn für sicher halten.
Thomas Psaier: Es wäre sinnvoller – auf dem Papier. Doch wir haben gesehen, dass in der Praxis jeder sein eigenes Süppchen kocht, und angesichts der Tatsache, dass SEC und ACC bereits wissen, was sie wollen, während die Big Ten gerade wieder begonnen hat nach einer bereits getroffenen Entscheidung zu wackeln, sehe ich wenig Grund für die Südstaaten-Conferences nun ihrerseits nachzugeben.
Wie schon oben geschrieben: 2020 ist nicht mehr zu retten. Doch das Erbe von 2020 ist noch zu retten, und zwar durch Reformen.
4) Wie valide fühlt sich ein National Champion im College Football 2020/21 an, wenn Big Ten und Pac-12 nicht mitspielen?
James Wiebe: Semi-valide. Sportlich ist leider auch nur die Big Ten ein Verlust, die Pac-12 hätte selbst im wildesten Szenario keinen Playoff-Teilnehmer gestellt. So fällt nur Ohio State aus dem Kreis der Contender.
Aber diese grundsätzliche Situation der verkürzten und völlig unregelmäßigen Trainingszeiten, Opt-Outs von Leistungsträgern… Chancengleichheit sieht anders aus.
Machen wir uns nichts vor, es werden nur Spiele gespielt, um die Sportprogramme der Unis am Laufen zu halten. Wirklichen sportlichen Wert muss das nicht haben.
Jan Weckwerth: Ganz eindeutig mit einem Asterisk versehen. Da nützen auch die Verweise nichts, dass in den letzten fünf Saisons das Finale ohne Beteiligung von Big Ten- und Pac-12-Teams stattfand. Zu Beginn einer jeden Spielzeit sollten alle Power 5-Teams die Chance auf den Meistertitel haben. Das gebietet die Fairness. Und rein sportlich bestehen gerade in diesem Jahr aufgrund der Opt Outs so viele Unwägbarkeiten, dass man kein Team aus der erweiterten Spitze vorschnell ausschließen sollte.
Thomas Psaier: Jo, Zustimmung. Der National Champ ist einer mit Sternchen. Rein sportlich hätte vielleicht nur Ohio State in die Phalanx von SEC, Clemson und Oklahoma eingegriffen. Doch wenn wir so argumentieren würden, warum spielen wir dann überhaupt jemals noch eine ganze Saison?
5) Wieder 9 Coronafälle bei Auburn. Wie viele Extremitäten würdest du Stand heute ins Feuer legen dafür, dass die SEC am 26.09. wie geplant startet?
James Wiebe: Keine wichtigen, das ist klar. Es infizieren sich ja nicht nur einzelne Spieler, sondern eher ganze Positionsgruppen, die zusammen trainieren und lernen. Was passiert, wenn vor Woche eins die komplette Alabama O-Line ausfällt? Oder gar der Georgia QB-Raum? Spiele werden wir am 26. wohl sehen, aber ob die ganze Angelegenheit auch wirklich nach Plan verläuft… ganz anderer Stern.
Jan Weckwerth: Zumindest mehr Extremitäten als bei jeder anderen Conference. Die SEC ist absolut gewillt zu spielen, so dass medizinische Bedenken möglicherweise eine marginalere Rolle spielen. Etwaige Zusammenhänge zu den politischen Tendenzen in den Südstaaten sind natürlich reiner Zufall.
Thomas Psaier: Ich setze nicht mehr als meinen linken Zehennagel aufs Spiel. Die SEC mag Trump-Region und beim Corona-Thema die furchtloseste aller Conferences sein, aber ich glaube nicht, dass sie es sich leisten kann rücksichtslos zu sein.