In der letzten Woche haben Florian und Thomas auf eine verrückte Coaches Decision zwischen Eagles und Cowboys, sowie eine vermeintliche Allerweltssituation im dritten Viertel bei Colts vs Lions geschaut. Heute geht es bei Thomas um die zahlreichen 4th Downs in der Schlussphase von Arizona Cardinals gegen Miami Dolphins. Und dann ist Florian auf der Suche nach einer unscheinbaren Situation, in der cleveres Coaching einen großen Einfluss haben könnte, beim Spiel der Texans bei den Jaguars fündig geworden.
4th-Down-Feuerwerk in Arizona wird zum Rohrkrepierer
Die Schlussphase von Arizona Cardinals – Miami Dolphins hatte es mit gleich vier 4th-Down-Entscheidungen in sich. Lasst uns die kritischen anschauen und eine Einordnung versuchen.
Das Spiel war über weite Strecken ein ziemlich offener Schlagabtausch zwischen beiden Offenses gewesen. Kyler Murray hatte die Cardinals mit spektakulären Pässen und exzellenten Scrambles trotz eines bitterbösen Fumbles zu Spielbeginn am Leben gehalten. Tua Tagovailoa spielte seinerseits im zweiten NFL-Start eine mehr als brauchbare Partie. Es stand Mitte des Schlussviertels 31-31, als die Cardinals in Richtung gegnerische Platzhälfte marschierten.
Cardinals: 4th&1 an der eigenen 47
Head Coach Kliff Kingsbury entschied sich in dieser Situation 7:43 Minuten vor Schluss für das Ausspielen – und er hatte Recht: Nach Ben Baldwins 4th-Down-Calculator verbesserte Kingsbury die Siegchance seiner Mannschaft um satte 9%. Murray scrambelte links um die Offense Line herum souverän zum 1st Down.
Das Risiko, in der eigenen Platzhälfte den Ball zu verlieren, mag auf den ersten Moment hoch klingen. Doch selbst bei einem Scheitern wird man mit so viel Zeit auf der Uhr mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit noch mindestens einmal den Ball bekommen.
Cardinals: 4th&1 an der gegnerischen 40
Nur drei Plays später standen die Cards erneut vor der Entscheidung – diesmal schon an der gegnerischen 40 Yards Line. Wieder ließ Coach Kingsbury ausspielen. Wieder war es die richtige Entscheidung – diesmal sogar noch deutlicher!
Das „Niemandsland“ zwischen Mittellinie und gegnerischer 30 bis 25 Yards Line ist die Zone am Feld, in der man am dringendsten kurze 4th Downs ausspielen sollte. Einmal, weil ein Kick aus großer Distanz längst keine sichere Sache ist. Und zweimal, weil selbst ein gescheitertes 4th Down in diesem Fall einigermaßen gute Feldposition für die eigene Defense bedeutet.
Kritisch an dieser Entscheidung war auch der Zeitpunkt. Nur mehr 5:20 Minuten waren zu spielen. Selbst wenn Arizona in dieser Situation scheitert, ist ein weiterer Ballbesitz mit ausreichend Zeit wahrscheinlich. Ein Fieldgoal wäre eine 50/50 Angelegenheit gewesen, ein weiteres First Down hätte nicht bloß die Touchdown-Chance erhöht, sondern auch weiter Uhr heruntergespielt und Miami eventuell zum Ziehen der Timeouts gezwungen.
Kingsbury ließ seine Offense am Feld – aber Chase Edmonds hatte über die Mitte keine Chance.
Dolphins: 4th&1 an der gegnerischen 32
Die Dolphins übernahmen also den Ball und cruisten mit einem 19-Yards Raumgewinn sofort in Richtung “Scoring-Range”. Doch dann warf Tagovailoa zweimal incomplete und einmal zu kurz. Die Dolphins standen mit 3:35 Minuten auf der Uhr vor einem 4th & 1.
Head Coach Brian Flores ließ das Fieldgoal schießen, und sein Kicker erhöhte auf 34-31. Der 4th-Down-Calculator sagt aber: Es war nicht die richtige Entscheidung. Flores hätte seinem Team eine um 3% bessere Siegchance gegeben, wenn er seine Offense auf dem Feld gelassen hätte. Warum?
Wieder: Ein 50-Yards-Fieldgoal ist in etwas mehr als 7 von 10 Fällen “drin” und gleicht damit einem Elfmeter im Fußball. Aber praktisch genauso groß ist auch die Chance auf das Verwerten eines 4th & 1 (70%) – und dann hätte die Offense eine neue Serie an Downs bekommen. Gut um die Chance auf den Touchdown am Leben zu halten oder ein etwaiges Fieldgoal sicherer zu machen, gut um die Uhr runterzuspielen.
Ein Scheitern wäre für Miami noch relativ verkraftbar gewesen, weil die Offense mit dreieinhalb Minuten plus Timeout plus Two-Minute-Warning noch einmal einen quicken Drive in der Schlussphase hätte bekommen können.
Die Upside am Kick? Man kann die Führung erzielen – und das gelang den Fins.
Cardinals: 4th&1 an der gegnerischen 31
Kommen wir zum “Big One”: Kliff Kingsburys eingezogenem Head-Coach-Schwanz mit 1:58 Minuten auf der Uhr und einem 4th & 1 an der 31-Yards Line der Dolphins. Kingsbury nahm seine Offense vom Feld. Es war eine sehr üble Entscheidung!
Nach Baldwins 4th-Down-Calculator verschenkte Kingsbury damit satte 16% der Sieg-Chance. Das mag hoch gegriffen klingen, doch auch andere Modelle sahen um die 13% Differenz zwischen des Coaches Entscheidung und dem Ausspielen dieses 4th Downs.
Was sich Kingsbury in dieser Situation dachte, ist klar: Ich hab nur mehr zwei Timeouts und ein 49-Yards-Kick gleicht mir das Spiel aus. Verpasse ich das 4th Down, krieg ich im besten Fall der Fälle den Ball mit gut einer Minute auf der Uhr zurück.
Was er sich aber hätte denken sollen: Sh*t, ein Fieldgoal ist selbst im Erfolgsfall nur der Ausgleich und Miami kriegt zwei Minuten plus Timeout für einen lächerlichen Fieldgoal-Drive zum Sieg. Das eine Yard gibt mir die Chance nicht nur auf den Sieg in der regulären Spielzeit. Es gibt mir auch die Chance, selbst ohne Touchdown die Uhr so weit runterzuspielen, um ein besseres Fieldgoal und weniger Zeit beim Gegner zu lassen.
Der Calculator zeigt: Ausspielen und Fieldgoal haben mit etwa 74% Chance die etwa gleiche Erfolgschance. Bei einem Scheitern wäre Arizona so oder so fast am Ende. Doch die Upside eines erfolgreichen 4th Downs ist um so viel höher (fast 2/3 Siegchance) als die Upside eines gelungenen Fieldgoals (nur 43% Siegchance, weil man auf Overtime spielt), dass das Ausspielen in dieser Situation ein No-Brainer ist.
Resultat: Kingsbury wurde für seine vollen Hosen bestraft und Zane Gonzalez brachte das selten gewordene Kunststück zustande, aus dieser Distanz zu kurz zu schießen.
Kliffs Angst und die Folgen
Nun kann man argumentieren, dass diese Prozentzahlen gerade in der Crunch-Time zu volatil sind um sie wirklich für voll zu nehmen. Das mag stimmen – aber eine Differenz von sage und schreibe sechszehn Prozent aufgegebener Siegchance ist schlicht nicht wegzudiskutieren.
Kingsburys Entscheidung ist falsch, weil sie nur den einen Moment – den Ausgleich – im Blick hat. Doch echtes Game-Management behält die Gesamtsituation im Auge, und dort sprechen selbst bei einem gelungenen Kick zu viele Dinge gegen einen Cardinals-Sieg. Auf Overtime spielen = keine gute Idee!
Wir müssen vielleicht noch kurz erklären, warum der Kick der Cardinals (-16%) im Vergleich zu jenem der Dolphins (nur -3%) eine so viel größere Fehlentscheidung war. Der Gründe sind simpel: Miami erspielte sich damit die Führung, Arizona bloß die Möglichkeit auf die Overtime. Miami brachte den Gegner in Zugzwang, Arizona machte damit erstmal gar nix. Miami zwang den Gegner zum Touchdown um das Spiel “in regulation” zu entscheiden. Arizona zwang ihn bestenfalls zum Fieldgoal, schlimmstenfalls nur noch dazu, ein einziges 1st Down zu erzielen.
Es gibt noch einen Aspekt, der Kingsburys Entscheidung so bitter macht: Eigentlich wäre er ja ein NFL-Coach auf dem richtigen Trip. Eigentlich ist er ja einer der rationalsten Coaches in 4th Downs: Seit er letztes Jahr Head Coach wurde, haben nur die für 4th Downs berühmt gewordenen Ravens häufiger diejenigen 4th Downs ausgespielt, in denen es mathematisch eine kluge Entscheidung ist:

Kingsbury macht schon vieles richtig. Auch in zwei von drei Fällen in der Crunch-Time gegen Miami hat er es richtig gemacht. Nur leider hat ihn im allerentscheidenden Moment der Mut verlassen. Vielleicht war es eine Lektion für diesen insgesamt sehr progressiven Coach!
Nuancen und liegen gelassene Chancen im Special Team
Die Texans kamen im Endeffekt mit dem Schrecken davon. Nach deutlicher Führung und verpassten Chancen, das Spiel gegen die von Jake Luton angeführten Jaguars zu entscheiden, fehlte den Jaguars am Ende eine erfolgreiche 2-Point-Conversion, um die Overtime zu erzwingen.
Was war passiert?
Tief im vierten Viertel – es sind noch etwas weniger als drei Minuten zu spielen – fällt Deshaun Watsons Pass incomplete. 4th & 6 von der Jags 38. Zu weit weg für ein Field Goal, zu wenig Mut um den Versuch auszuspielen, nehmen die Texans ein von Head Coach Romeo Crennel inszeniertes Delay of Game. Anschließend stellt man sich zum Punten auf. Die beiden Gunner (gelb) der Jags stehen bereits ziemlich weit innen und schauen nur auf den Punter der Texans. Der in orange markierte Texans-Spieler scheint seinem Punter Bryan Anger etwas signalisieren zu wollen.

In der Folge bewegen sich die beiden Jags-Gunner immer weiter auf die Spielfeldmitte zu. Sie versuchen schließlich, den Punt zu blocken. Die Texans Gunner stehen beide vollkommen blank und suchen gar den Blickkontakt zu ihrem Punter, doch dieser scheint die Chance der Situation nicht zu begreifen.

Eine verpasste Großchance
Die Chance ist, dass die Jaguars Gunner keine Möglichkeit haben, die Texans Gunner in irgendeiner Form zu verteidigen. Ein gut vom Coach eingestelltes Team sollte Situationen wie diese ausnutzen. Gunner und Punter müssen nur kurz den Blickkontakt suchen und die Gunner schließlich eine Passroute laufen. In diesem Fall könnte sich der Punter sogar aussuchen, welchen der beiden Gunner er anwerfen möchte.
Vermutlich hätten bessere Kommunikation, mehr Mut und Situational Awareness der Texans hier für ein First Down, vielleicht sogar für einen Touchdown, gereicht. Denn außer dem Punt Returner hätte niemand mehr zwischen dem Gunner als Passempfänger und der Endzone gestanden. In jedem Fall hätte man die Uhr mindestens bis auf knapp 35 Sekunden herunterspielen können. Dann hätte man ein Field Goal schießen, das Spiel entscheiden und allen Texans-Spread-Wettern einen Gefallen tun können.
Stattdessen puntete man zum Touchback und ließ Luton anschließend das Feld hinunter marschieren. Nur die verpasste 2-Point-Conversion rettete den Texans-Sieg ins Ziel. Hier nehme ich den Special-Teams-Coach in die Pflicht, die eigenen Spieler für Situationen wie diese vorzubereiten. Eine derart leichtfertig liegen gelassene Chance darf man sich auf diesem Niveau eigentlich nicht erlauben.
Da es gerade zum Thema passt würde mich interessieren, wie ihr die Entscheidung von Mike Tomlin bewertet, im letzten Drive den vierten Versuch auszuspielen anstatt per Fieldgoal auf 8 Punkte Führung zu erhöhen
Ben Baldwins Calculator hat eine ganz leichte Tendenz zum Ausspielen (+0.4%). Ich persönlich bin hier ziemlich indifferent. Ich verstehe die Argumente für das Field Goal, denn eine 8-Punkte Führung ist wertvoller als gemeinhin angenommen, insbesondere bei einem so klaren Missmatch wie Steelers Defense gegen Cowboys Offense. Auf der anderen Seite ist eine erfolgreiche Conversion der sichere Sieg. Da es sich um ein “kurzes 1 Yard” handelt (eigentlich ist weniger als 1 Yard zu gehen) und ich aggressive Spielweise mag, habe ich eine leichte Tendenz zum Ausspielen.